Es ist doch verdammt ärgerlich. Da bucht man den großen teuren Fernurlaub, fliegt extra über den Atlantik und noch viel weiter, um in den majestätischen Kanadischen Rocky Mountains die gigantische Weite der Berge zu genießen. Und plötzlich steht so mir nichts dir nichts am Wanderbeginn: dieser Trail ist aufgrund des Waldbrandes im Vorjahr gesperrt. Und das wurde noch nicht mal im Wanderführer erwähnt! Gerade dieser Weg. Gerade jetzt, wo ich hier bin. Da war doch all der Aufwand rausgeschmissenes Geld.
Wirklich?
Ja. So zumindest die feste Glaubenshaltung von vielen GästInnnen auf Tour, wenn Veränderungen den fest geplanten Reiseverlauf beeinflussen. Und nein. Um es mit den Worten des Schweizer Filmers und Fotografen Daniel Hager zu sagen: „Das Leben verhält sich wie die Fotografie – es kommt lediglich auf die Perspektive an.“
Fangen wir damit an, sie zu verdrehen, zu verschieben und zu erweitern.
Feuer
Wir staunten nicht schlecht, als wir am 25. Juli 2017 auf dem Gipfel des Cascade Mountain angekommen, die riesen Rauchsäule in der Ferne aufsteigen sahen. Sie gehörte zu einem Feuer, dass bereits 10 Tage zuvor, am 15.Juli, im Kootenay Nationalpark vom Blitz ausgelöst worden war. Der elektrische Schlag verwandelte das 300 Jahre alte Waldgebiet am Verdant Creek binnen weniger Stunden in ein gigantisches Flammenmeer. Zu Beginn brannte binnen 5 Stunden eine Fläche von 100 Stadtblöcken nieder und nach zwei Monaten war ein Bergwald, größer als Liechtenstein, über 18.000 ha, verkohlt. 140 Personen und 10 Helikopter leisteten zeitgleich ihren Einsatz.
Die Wildbrandsaison des Jahres 2017 brach alle Rekorde: ein etwas kleineres Gebiet wie Nordirland, 1.216.000 ha groß, verbrannte in der kanadischen Provinz British Columbia. Heiße und trockene Bedingungen ließen viele Feuer außer Kontrolle geraten. Die maximale Durchschnittstemperatur lag bei 27 Grad C, mit Windgeschwindigkeiten bis zu 70 km/h und nur 26 mm Regen insgesamt.
Der Vergleich zu Deutschland: im überdurchschnittlichen Waldbrandjahr 2019 verbrannten 2.711 ha Wald, das entspricht etwas mehr als dem Königsforst in NRW und ist die „zweitgrößte betroffene Waldfläche seit Beginn der Waldbrandstatistik“. Das langjährige Mittel (1993-2018) liegt bei 577 ha.
Achso. Bitte nicht wundern. Wildbrand ist kein Tippfehler. Kurze Erklärung: es brennt nicht nur Wald, auch Savanne, Steppe, Grasland, subalpline Hänge können beispielsweise brennen. Deshalb ist man in Nordamerika dazu übergegangen, nicht mehr nur von „forest fires“ (Waldbränden), sondern von „wild fires“ (Wildbränden) zu sprechen. Ich auch, wenn es nicht explizit und ausschließlich ein brennender Wald ist.
Feuer ist verheerend, ohne Zweifel. Gibt es da überhaupt eine andere Perspektive?
Schauen wir es uns erst einmal genauer an und beginnen direkt mit der Kraft der Vernichtung.
Vernichtung
Feuer verändert radikal. Klar. Es vernichtet jedoch nicht nur die oberirdische Vegetation. Es verwandelt auch den Boden: die Struktur, die Chemie, die Biologie.
Eine Studie der Rocky Mountain Research Station aus dem Jahr 2005 beleuchtet, dass sich bei Bränden der Erdboden verdichtet und die Porosität reduziert. Durch diese nun weniger durchlässige Erde fließt nach dem Feuer weniger Wasser hindurch. Logisch. Wir wissen auch, Wasser findet seinen Weg. Wenn nicht unten, dann halt oben. Und das geht rasch. Das Wasser nimmt also mehr Erdmaterial mit hinab ins Tal. Die dadurch frappierend zunehmende Bodenerosion wird von einer weiteren Umgestaltung verstärkt: dem Hitzetransfer ins Bodeninnere.
Je mehr Hitze eindringt, umso mehr verdampft die Feuchtigkeit. Der Boden trocknet aus. Er wird nicht nur dicht, sondern auch wasserabweisend. Starke Regentropfen und sich ausweitende Rillenerosion auf der Oberfläche tragen den Boden weiter vehement ab. Was zuvor von Wurzelwerk aufgenommen und aufgehalten werden konnte, fließt nun hemmungslos gen Tal.
Bevor wir dem Wasser ins Tal folgen, werfen wir einen zweiten Blick in den Boden. Chemisch verwandeln sich diese Bestandteile durch die Hitzeeinwirkung massiv: aus Humus wird Asche. Bei der Verbrennung organischer Substanzen wechseln die im Boden angereicherten Nährstoffe ihre Gestalt und werden für mikrobische Organismen und die Vegetation super leicht verfügbar, sofern sie sich nicht sofort verflüchtigen oder durch Wind & Regen erodieren. Nitrogen beispielsweise verdunstet bereits bei relativ geringen Temperaturen und starke Brände führen zu einem enormen Verlust dieses bedeutenden Nährstoffes. Und wenn es jetzt zu regnen beginnt…
Hier folgen wir wieder dem Kreislauf. Yep. Feuer spielt eine wichtige Rolle im Wasserkreislauf. Bei einsetzendem Starkregen nach einer Feuersbrunst entstehen wie aus dem Nichts reißende Flüsse. Sie schwemmen die vom Feuer massenhaft herausgespülten Nährstoffe, gelöste Metalle, Reste von feuerhemmenden Chemikalien aus Löscheinsätzen fort.
Kilometer entfernt vom eigentlichen Brandherd verändert sich daraufhin die Wasserqualität und damit das Habitat von Flüssen und Seen in den Niederungen. Die dramatischen Auswirkungen: massive Hochwasser, Sedimentation & Verschlammung, Temperaturwechsel und Veränderung der Nährstoffzusammensetzung der Gewässer. Das birgt Konsequenzen auf die Lebewesen darin und drum herum. Einschließlich uns Menschen. Analysen, die die Landschaften und Ökosysteme mit einbeziehen, stehen indessen noch aus.
Doch was wäre die Welt ohne Feuer? Wäre sie sicherer, konstanter, lebensbejahender?
Chance
Fakt ist: sie wäre um viele Arten ärmer. Einschließlich unserer eigenen in der heutigen Form. In Die Mühlen der Zivilisation kommt der Politologe James C. Scott’s zu dem Schluss, dass die Verwendung des Feuers tiefgreifende Folgen sowohl für die Entwicklung von uns Hominiden als auch unserer Landschaften hatte. In den Parks der Kanadsichen Rocky Mountains waren die Ausmaße so groß, dass sich das Landnutzungsmuster mit Ankunft der Pferde und Waffen um 1700 und durch den massiven Bevölkerungsschwund infolge der eingeschleppten Pockenepidemien im Laufe des 18. Jh. entscheidend veränderte – es brannte weniger und die Bewaldung nahm rasch zu.
Wie krass der anthropogene Einfluss auf den historischen Feuerzyklus in der Region ist, zeigen die Analysen der Forscher Wagner, Finney & Heathcott sehr deutlich. Doch dazu später mehr.
Die Jahrtausende lange Prägung durch Feuer veränderte unwillkürlich Flora und Fauna der Kanadischen Rocky Mountains – sie passten sich an, haben Nischen gefunden. Manche als Nutznießer der neu entstandenen vollgedüngten Freiflächen, andere als Grundvoraussetzung ihres Überlebens.
Pink leuchtende Waldweideröschen (Epilobium angustifolium) profitieren außerordentlich von der Freilage des Mineralbodens, der akuten Nährstofffreisetzung sowie der entstandenen lichten Freiflächen – hektarweise. Sie zählen zu den Erstbesiedlern nach Bränden und verwandeln gewaltige Flächen in blühende Augenweiden.
Auch der schwarze Kiefernprachtkäfer (Melanophila acuminata) fliegt im wahrsten Sinne des Wortes auf frische Waldbrandgebiete. Mithilfe seiner Infrarot- und Chemo-Sensoren kann er Verbrennungsgase orten und zu heiße Stümpfe meiden. Der perfekte Ort, um ungestört Nachkommen zu zeugen und ihnen eine erfüllte Kinderstube zu bieten. Und wo sich viele Käfer ansiedeln, bleiben auch die Fressfeinde nicht lang fern. Nach Bränden vermehren sich Sprechtpopulationen teilweise auf das 50fache, angezogen von den vielen Insekten.
Doch für absolut eingefleischte Pyrophyten – Lebewesen, die vom Feuer profitieren – spielt das Feuer eine überlebenswichtige Rolle. Zum Beispiel bleiben die Zapfen der Drehkiefer (pinus contorta) mit Harz fest verschlossen, bis ihre Versiegelung in der Hitze des Feuers schmilzt. Da kann die Sonne noch so stark scheinen. Die Samen müssen auf sehr fruchtbare Asche fallen, das Quellbett der Mineralbodenkeimer.
Auch die Borke dieser in Nordamerika heimischen Art ist bis zu einem gewissen Grad feuerfest, so dass sie und auch die Douglasie vom Feuer vernarbt viele Jahre überleben können. Im Gegensatz zu Weißfichten, Engelmannfichten und Felsengebirgstannen. Die First Nations nutzten die Drehkiefer zum Bau von Tipis, die weißen Einwanderer zum Bau ihrer Gebäude – daher der englische Name lodgepole pine.
Feuer prägt Landschaften. Feuer schafft Lebensraum. Feuer sichert Überleben.
Das verheerende Verdant Creek Fire als Retter in der Not.
Lebensquell
Wirklich wahr: die Crew der kanadischen Nationalparkbehörde pflanzte bereits wenige Tage nach dem Erlöschen des Feuers unzählige kleine Setzlinge der vom Aussterben bedrohten weißstämmigen Kiefer (Pinus albicaulis, Whitebark Pine) in die noch warme Asche. Diese Kiefernart steht auf der roten Liste. Die Gründe liegen im multikausalen Zusammenspiel von Feuerunterdrückung des letzten Jahrhunderts, Klimawandel, Borkenkäferepidemien und Strobenrost – eine 1906 aus Europa eingeschleppte Krankheit (white pine blister rush).
In Hochwaldregionen entlang der kanadischen Rocky- und Columbia Mountainketten spielt die weißstämmige Kiefer eine Schlüsselrolle: ihre proteinreichen Samen ernähren den Kiefernhäher, rote Eichhörnchen, Grizzlies und Schwarzbären; mit ihren Wurzeln stabilisieren sie steile Abhänge; ihre Zweige und Stämme bieten vielen Spezies ein Dach über dem Kopf & ein Zuhause.
Und sie braucht Feuer, um zu überleben. Im natürlichen Verlauf der letzten tausend Jahre brannten alle 90 – 300 Jahre kleine lokale Feuer mit niedriger Intensität. Über Generationen hinweg passte sie sich an, die Feuer zu überleben und sich schnell zu regenerieren.
Ihre Rinde ist etwas dicker, die Krone etwas lichter und die Wurzeln etwas tiefer. Dank der Symbiose mit dem Kiefernhäher (Nucifraga columbiana, Clark’s Nutcracker) rekolonialisiert diese Baumart sehr schnell große, fast vollständig verbrannte Flächen in Höhenlage, sogenannte stand replacement fires. Die Kiefernhäher lieben offene Landschaften mit vielen visuellen Anhaltspunkten. Dort lagern sie ihre erbeuteten erbsengroßen Samen der weißstämmigen Kiefern als Vorrat für knappe Zeiten.
Dass sie dabei die Körner über 100 Mal weiter tragen, als es der Wind mit Felsengebirgstannen- und Fichtensamen vermag und dabei etwa die Hälfte der Samen in ihren Lagerstätten vergessen, verleiht der Schlüsselart einen entscheidenden strategischen Vorteil bei der Sicherung ihrer Art. Die sonnenliebende Kiefer lässt ihre Zapfen ausschließlich von den langen spitzen Schnäbeln dieser Vogelart knacken.
Kein Wunder also, dass die RangerInnen diese Gelegenheit am Schopfe packten und sofort mit der Bepflanzung der abgebrannten Fläche begannen. Feuer spielt also eine signifikante Rolle in der Ökologie der Kanadischen Rocky Mountains.
Und was hat sich geändert, dass scheinbar alles aus dem Ruder läuft?
Wandel
Während in Deutschland der Forschungszweig Feuerökologie noch in den Kinderschuhen steckt und aktiv von Prof. Dr. Johann Georg Goldammer am Global Fires Monitoring Center am Max-Planck-Institut in Freiburg im Breisgau vorangetrieben wird, gibt es dazu in Nordamerika bereits seit vielen Jahrzehnten Studien.
Jetzt kommen wir zu den Analysen historischer Feuerzyklen in den Kanadischen Rocky Mountains. Sie zeigen einen Übergang zu niedrigeren Brandraten ab 1760 und 1840. Ein Zusammenhang mit der kleinen Eiszeit während dieses Zeitraumes kann nicht hinreichend belegt werden, zumal kalt nicht immer mit nass und warm nicht immer mit heiß korreliert. Im Gegenteil, es gibt keine Belege für einen Langzeitklimawandel, der für eine bedeutende Reduktion der Brandraten in den kanadischen Rockies ursächlich sein könnte. In diesem Zeitraum veränderten sich jedoch das Besiedlungsmuster und die Technik.
Zusätzlich gab es eine drastische Abnahme an verbrannter Erde ab den 1940er Jahren auf der Ostseite der Kanadischen Rockies. Die Ursache hierfür liegt deutlich auf der Hand: einige bedeutende Straßen der Kanadischen Rocky Mountains wurden 1939 fertiggestellt und der Fokus der damaligen Maßnahmen lag auf der Unterdrückung von Wildbränden. Die Daten für die Westseite sind zu spärlich, um sie statistisch erfassen zu können. Durch die Unterdrückung des Feuers konnte das Unterholz ungehindert gedeihen. Auch minderte es die Anzahl an wichtigen kleinen offenen Flächen und erlaubte es älteren Drehkiefern in niederen Lagen zu wachsen.
Wenn dann ein Feuer ausbrach, gab es genügend Zündstoff, der sowohl die Hitze intensivierte als auch die Flammen bis zu den Baumwipfeln schießen ließ. Bekanntermaßen entsteht die meiste verbrannte Fläche durch wenige große Feuer, an heißen, windigen Tagen, denen ein bis zwei Wochen regenarmes Wetter folgt.
Womit der nächste Faktor, der rasante Klimawandel, seine Wirkung entfaltet. Nicht nur sind die Sommer sehr heiß, auch die Winter bleiben sehr warm. Die Drehkiefer sichert als Hauptwirt dem Bergkiefernkäfer das Überleben. Die Käfer sind wiederum biotisch mit dem Bläuepilz verbandelt. Der Pilz sitzt in den Mundwerkzeugen. Beim Fressen siedelt er in die Innenrinde des Baumes und beeinträchtigt die Produktion von giftigem Harz und somit die Abwehr der Drehkiefer gegenüber dem Käfer.
Harte Winter töteten früher die meisten Larven, so dass gesunde Bäume sich gut schützen konnten. Mittlerweile ist die Käferpopulation explodiert, die Bäume – neben der Drehkiefer auch die bedrohte weißstämmige Kiefer – sterben en masse und liefern so extrem viel Totholz, dass wenn es brennt, sich eine gigantische Feuersbrunst entwickelt.
Insgesamt veränderten im vergangenen Jahrhundert neben der Feuerunterdrückung, auch die Weidewirtschaft und Abholzung die Struktur und Zusammensetzung vieler Wälder in Tallage: die Feuer wurden größer und verheerender.
Doch Lesson Learned. Seit einigen Jahrzehnten engagiert sich Parks Canada aktiv im Feuermanagement und legt selbst Feuer (prescribes fires), um die Balance wiederherzustellen.
Perspektivwechsel
Ja, es ist nicht prickelnd, wenn Pläne durchkreuzt werden, sich plötzlich, wie durch einen Blitzschlag, alles ändert.
Bei uns war es die Rockwall, deren zweiter Abschnitt in letzter Sekunde für unsere gebuchten Backcountry-Übernachtungen öffnete. Die Sicht und Photos einiger Touren für den Rother-Wanderführer hat’s allerdings im Sommer 2017 vernebelt. Aber so what?
Mag der eine Weg gesperrt sein, so findet sich ein anderer, nicht minder spannend, nicht minder reizvoll. Man sieht unerwartete Dinge und ist Teil des Flusses, Teil des rastlosen Lebens voller Chancen, Möglichkeiten und neuer Perspektiven. Und soll’s der Gleiche sein, so hab Geduld und wenige Jahre später erwachsen aus Asche blühende Landschaften.
Dennoch, trotzdem gilt unbedingt: Know before you go – informiere Dich bevor Du losgehst bei wichtigen Anlaufstellen und Websites für Wanderungen in Westkanada.
Tourenvorschlag
Auch diese ändern sich von Jahr zu Jahr. Wo heute noch Waldweideröschen stehen wird morgen ein dichter Kiefernwald gedeihen.
Auf der gegenüberliegenden Seite vom Brandgebiet des Verdant Creek, westlich des Windermere Highways also, führt der Numa Creek Trail durch eine verbrannte Landschaft zum bezaubernden Floe Lake (Tour 10 im Wanderführer Kanadische Rocky Mountains) und mit etwas Glück blüht alles in loderndem Pink.
Dank
Herzlichen Dank an Parks Canada für die Unterstützung und freigiebige Bereitstellung des Titelphhotos sowie zwei weiterer gekennzeichneter traumhafter Bilder auf diesem Blogbeitrag & natürlich Kelsey Robson für die exzellente Kommunikation.